Montag, 29. September 2014

Ich bin ein Alien; auf jeden Fall nicht mehr der Alte



Ende September habe ich nun Kopenhagen erreicht. Aus irgendeinem Grund war das für mich immer ein sehr wichtiges Ziel auf der Reise; ich denke es liegt daran das ich dort schon mehrmals “an Land” war und immer davon geträumt habe, dort auf eigenem Kiel einzulaufen. Um den Rest des Rückweges nun nicht mit einer “Nun aber schnell nach Hause” Einstellung weiterzuhetzen, habe ich mir jetzt bewusst eine kurze Pause  verdordnet und fahre für 3 Tage nach Hamburg, in der Hoffnung dann, das von Walter Kretschmer vorausgesagte Superwetter in der ersten Oktoberwoche, mitnehmen zu können und in aller Ruhe und mit Urlaubsgefühlen meine Reisemonate ausklingen zu lassen. Ausserdem gilt es meinen Freund Dara auf seiner Hochzeitsfeier zu überraschen und mit meiner Frau unser 15 jähriges Kennenlernjubiläum zu feiern.




Nach nur vier Stunden Bahnfahrt später bin ich wieder in Hamburg und fühle mich wie ein Ausserirdischer. Da hat sich in mir doch einiges verändert in den letzten 3 Monaten, die ich ja komplett auf dem Schiff verbracht habe.

Zunächst einmal spricht hier natürlich jeder Deutsch; so natürlich ist das aber nicht mehr für mich. Nach fast schon automatischen Gruß “HejHej” guckt hier schon einmal jeder etwas merkwürdig und ich bin es schlicht nicht mehr gewohnt in Gastronomie oder Geschäften deutsch zu sprechen und stammel mir einen zurecht...schon verrückt. 




Dann sind hier Alle in unglaublicher Eile, die ich auch nicht mehr so kenne. Vom Hauptbahnhof bis nach Hause musste ich zwei U-Bahnen und einen Bus nehmen. Dazwischen habe ich immer erst einmal eine Pause von 30 Minuten machen müssen um einfach irgendwo ins Leere zu starren. Prompt bin ich auch noch ein paar Stationen träumend zu weit gefahren; schon merkwürdig! 


Und zu Hause erwartet mich die große Wandkarte mit meiner Planung und ausgeschnittenen Fotos aus Berichten über Schweden...das hat sich ja nun erledigt und ich habe über 1.500 eigene Bilder im Gepäck. In diesem Moment merke ich sehr stark, wie sehr die Reise mich verändert hat und habe mir einmal ein paar Punkte notiert, an denen ich das gut festmachen kann.


- Am Waschbecken trete ich mit dem Fuss ins Leere statt denn Wasserhahn zu öffen. An Bord habe ich ja Fusspumpen dafür.

- Ich brauche wesentlich weniger Schlaf und freue mich morgens auf das Aufstehen. Endlich kenne ich dieses Gefühl wieder!!

- Meine Ernährung hat sich extrem verändert. FastFood wie McDonalds ist unvorstellbar. Nicht aus Vernunft sondern aus Körpergefühl. An Bord esse ich ja eher zielgerichtet nach vorhandenen Vorräten und Lust am Kochen. Daraus resultiert dann ein kleines Frühstück und eine warme Mahlzeit am Tag. Und viel Obst und Gemüse; das an Bord immer vorhanden, schnell zubereitet und vom Verderben bedroht ist. An Land sind meine Favoriten asiatisch oder indisch. Burger und vor allem Kohlenhydrate mag ich überhaupt nicht mehr. Salat mit Lachs oder typische Asia Gerichte schmecken und bekommen mir am Besten. Ich lebe also deutlich gesünder. Nicht aus Vernunft, sondern aus Geschmack. Auch esse ich nur noch ca. 20% der Menge Fleisch als vor der Reise. Keinen Aufschnitt und Berge von Tomaten.

- Wie schon einmal erwähnt gehe ich viel offener auf Menschen zu und komme schnell in Gespräche. Diese sind dann meist sehr bewusst, aufmerksam und mit viel mehr Augenkontakt.

- Überhaupt beobachte ich sehr viel genauer und bewusster. Das gilt für Umgebung und Wetter genauso wie für andere Menschen und deren Verhaltensweisen. Stundenlang kann ich dem Gewusel zusehen und dabei “Verhaltensforschung” betreiben.

- Auch dieses bewusste Abschalten, das Öffnen des Blickwinkels und des genussvollen Zeitverstreichenlassen ist mir neu. Das kommt sicher von den vielen Stunden der Segelei, die ja im Verhältnis zu den Entfernungen immer sehr langsam vor sich geht. Da muss man schon lernen 5-6 Stunden einfach nur Dazusein! Häufig das Ziel 3 Stunden vor Ankunft schon vor den Augen.

- Daraus resultiert dann auch ein anderes Tempo. Ich bin am Bahnhof sicher der Langsamste und stehe wohl auch anderen im Weg...aber wozu die Eile, wo es doch so viel zu sehen gibt.

- Und last but not least das Versinken in den eigenen Gedanken. Ich kann mich sehr lange damit beschäftigen über Dinge nachzudenken. Beispiel: Sinn des Lebens, Anzahl der vorhandenen Universen, Karma, was koche ich nachher, Altern, Glück und Ziele, warum habe ich vor 20 Jahren so gehandelt, wie ich es damals getan habe.....all son Zeugs.  



Ein für mich wichtiges Ergebnis daraus ist es, sich nicht so sehr ans Leben zu krallen. Mit jetzt über 50 muss man sich ja damit auch mal auseinandersetzen. Das bedeutet jetzt nicht Suizidgedanken oder Todessehnsucht, im Gegenteil. Aber ich will jederzeit bereit dafür sein den Auftritt hier zu beenden, ohne zu sagen: Ich wollte aber noch Dieses oder Jenes machen, aber habe dafür ja keine Zeit. Nach der Rente fange ich an zu Leben. Richtig glücklich bin ich nichts, aber so ist das eben etcetcetc.

Ich werde niemals alle meine Wünsche erfüllen können, aber ich gebe nicht auf. Ich habe die Liebe meines Lebens gefunden. Bin gesund und glücklich. Bin unterwegs und immer auf der Suche. Bin auf dem Wasser. Wenn der Mann mit der Sense anklopft kann ich ihm also lächelnd entgegentreten. Das ist ein sehr friedliches und beruhigendes Gefühl. Zumal mich die Größe und Weite des Himmels, des Meeres und des Universums, von denen es ja nach neuen Erkenntnissen mehrere geben soll, im Verhältnis zu meiner kleinen Existenz, davon überzeugt, das wir weit davon entfernt sind unser Leben und unseren Tod auch nur ansatzweise zu verstehen. Irgendwie geht es also immer weiter....

So bevor es nun zu philosophisch wird, mache ich mich wieder auf den Weg nach Kopenhagen und auf das weite Meer.