Nachdem ich unlängst von dem Tod eines Segler gelesen habe, der in Sichtweite von Warnemünde überbordgegangen und ertrunken ist, mache ich mir so meine Gedanken. Es herrschte zur Unglückszeit recht wenig Wind und Welle und das Wetter war gut. Der Segler trug fatalerweise keine Rettungsweste und ging angeblich sehr schnell unter. Die vorherige Überfahrt ging einige Stunden von Gedser bis eben nach Warnemünde. Entweder hatte er die (in diesem Fall eventuell rettende) Weste gar nicht erst angelegt oder, leider sehr menschlich, irgendwann wegen das guten Wetters und der angenehmen Bedingungen abgelegt. Und dann in Sichtweite des Hafens für als nicht mehr nötig befunden. Bis auf die ganz Vernünftigen unter uns Seglern, ein sicherlich nachvollziehbares und selbst schon häufig gelebtes Verhalten. Ich jedenfalls bekenne mich schuldig.
Lifeline und Lifebelt
Dabei habe ich als Einhandsegler nicht mal eine Crew, die mir zur Hilfe kommen könnte. Sollte ich ohne Weste und Lifebelt über Bord gehen, würde es daher schon sehr viel Glück und ein sehr gnädiges Schicksal bedürfen, um nicht das sichere Ende zu bedeuten. Einmal mehr nachdenklich geworden nehme ich mir zum wiederholten Male vor, noch sicherheitsbewusster zu sein. Was ich bei meinen Mitseglern nicht durchgehen lassen würde, erlaube ich mir merkwürdigerweise alleine. Schon merkwürdig. Und die Gefahr lauert ja weniger in den Stürmen oder hohen Wellen. Denn da ist sie zu offensichtlich. Man trägt sowieso Lifebelt und ist generell übervorsichtig in solchen Situationen. Nein, die Gefahr lauert, so wie hier, in der Gewohnheit und der Routine. Mal eben noch schnell aufs Vorschiff gehen um die Leinen klarzumachen oder die Fender bereitzulegen, kennt man doch...
Ohne Bugkorb und Seezaun würde man sich hier anders bewegen
An meinem zweiten Einhand-Segeltag überhaupt, wäre ich auch einmal von einer Motorbootwelle beinahe Überbord geschüttelt worden. So früh in der Segelkarriere war es mir aber eine gute Lehre. Wie schnell hätte aus einer lockeren und relaxten Fahrt etwas sehr Gefährliches werden können, indem es einem mal eben schnell die Füße wegzieht. Eine weitere prägende Erfahrung war das simple Betreten eines Folkebootes. Diese haben ja weder Bugkorb noch Seezaun. Und so tritt man mit einem langen Schritt auf das nackte Deck. Und jeder der das das erste Mal macht, stellt sich dabei übervorsichtig und ungelenk an. Und mal ehrlich: wie sehr schützt einen ein 50cm hoher Seezaun denn wirklich, wenn man aufrecht stehend auf dem schwankendem Deck läuft? Nicht sehr viel, denke ich.
Statt so...
Langer Rede, kurzer Sinn: Diese beiden Erlebnisse plus sehr viele Törns einhand haben bei mir ein Gedankenmodell erzeugt, das mir nun immer zur Seite steht. Ich habe nämlich durchaus etwas Höhenangst. In meinem Gedankenmodell beginnt neben dem Boot daher ein sehr tiefer und garantiert todbringender Abgrund. Denn nichts anderes ist das Meer ja für mich, wenn ich einhand segele. Falle ich hinein, falle ich in den Abgrund. Aus. Vorbei. Wie viel vorsichtiger würden wir uns wohl an Deck bewegen, wenn sich ein realer tiefer Abgrund nebem dem Boot befände und nicht "nur" das Meer? Bestimmt würden wir nicht mal schnell aufrecht nach vorne eilen...sondern schön auf allen Vieren mit klopfendem Herzen, oder? Und wohl auch immer mit Gurt (Lifebelt) und Fallschirm (Rettungsweste)? Mir hilft dieses Gedankenmodell enorm, da ich mich nun unabhängig von den Bedingungen immer extrem umsichtig und vorsichtig an Deck bewege. Und vor allem meinen Körperschwerpunkt IMMER über dem Boot halte. Wenn ich mich dann einfach zusammensacken lasse, lande ich wenigstens auf dem Boot und nicht im Wasser. Ich lasse immer eine Hand an den Handläufen bis zu den Püttingen der Wnaten und dann geht es im Sitzen weiter oder maximal in fast gebückter Stellung. Und immer schön vorsichtig und der Gefahr des neben mir lauernden Abgrundes bewusst. Und eben auch immer bei augenscheinlich ungefährlichen Bedingungen.
...lieber so!
Das ist natürlich auch keine ultimative Sicherheitsgarantie, aber sollte doch zumindestens ein Überbordgehen aus Unachtsamkeit deutlich erschweren. Auch wenn Rettungsweste und Lifebelt für Einhandsegler selbstverständlich sein sollten, können sie aber auch nicht ein Überbordgehen zuverlässig verhindern. Die Vorstellung eines Lebens am Abgrundes mag, gerade für etwas höhenängstliche Menschen, da durchaus hilfreich sein. Mir jedenfalls hat dieses Gedankenmodell schon sehr gute Dienste geleistet. Stellt euch einfach mal vor wie ihr euch auf See an Deck eines Bootes ohne Seezaun (also z.B.: eines Folkebootes) bewegen würdet. Doch schon etwas anders, oder?
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