Mittwoch, 19. April 2017

Endlich Segelfrei!


Da freut man sich nach der langen, dunklen Jahreszeit darauf endlich wieder die Leinen loszuwerfen, die Segel zu setzen und auf die Ostsee hinauszufahren und dann freue ich mich über Segelfrei? Bin ich bescheuert? Die Sache ist so: seit vier Tagen bin ich auf der Ostsee unterwegs, ein verlängerter Ostertörn. Und was macht das, sonst im April eigentlich stets so angenehme Wetter? Es ist kalt und windig oder kalt und regnerisch. Im Wechsel. Klassisches Aprilwetter eigentlich, nur war es die Jahre vorher eben anders. Ich habe zwar warme Klamotten an, aber nach einem ganzen Tag auf dem Wasser kriecht die Kälte dann doch irgendwann und die Zwiebelschichten. Das Thema Segelhandschuhe kursiert ja immer wieder in den Foren, ich bevorzuge aber doch lieber kalte Hände. Das ich diese dann manchmal verzweifelt in ein Paar Socken gesteckt habe, muss ja keiner wissen.


Mein Törn ging von Minde über Höruphav nach Augustenborg. Und von dort an einem langen Segeltag bei sehr böigen 6Bft aus Nordost immer vor dem Wind bis hinein nach Flensburg. (Diese 30 Seemeilen lange Tour kann ich übrigens jedem nur ans Herz legen! Es ist wie eine lange Talabfahrt in den Bergen: Rauschefahrt, Wind immer achterlich und die Welle bis auf das kurze Stück von Sönderborg in die Innenförde immer entspannt). Auf dem Wasser ist es wie immer wunderbar, aber sobald es dunkel wird und die Kälte sich von den Händen auf den Rest des Körpers ausbreitet, fange ich an zu grübeln. Ist das jetzt wirklich so toll? Will ich das nur gut finden, weil ich es eben gut finden will? Ist das echt meine Version von Entspannung? Dazu sei gesagt, das ich, aus welchen Gründen auch immer, nur bei offenen Luken bzw. Fenstern schlafen kann. Und zwar nicht nur eines, sondern zwei damit auch ja Durchzug herrscht. Falls das nicht der Fall ist, verstopft die Nase und ich laufe den nächsten Tag mit fiesen Kopfschmerzen herum. Im Sommer gar kein Problem, ist das bei den aktuellen Minusgraden auf dem Wasser aber nicht so toll. Im Prinzip schlafe ich also wie in einem Kühlhaus mit offenen Türen. Unter der Decke einigermassen angenehm, ist aber jede Extremität, die ihren Weg nach draussen findet, schutzlos der Kälte ausgeliefert. Nase, Füsse, Hände. Irgendetwas ist immer kalt und klamm. Und dann der Moment, wenn man morgens aufsteht. Das Boot ein Eisschrank, die Duschen an Land oft noch nicht funktionsfähig oder nur gegen eine spezielle Münze, die ich aber natürlich nicht bekommen habe. Also schnell in die Klamotten und ab in den Wind, Segeln gehen. Kaum stehen die Tücher, ist alles vergessen und ich atme das pure Glück. Bis zum nächsten Hafen.


Video vom Überführungstörn nach Dänemark


Und während dieser Tage frage ich mich dann, wo ist eigentlich mein "Zeitmillionär" Gefühl geblieben? Das Gefühl der sich endlos dehnenden Stunden und Tage auf dem Wasser? So richtig will es sich nicht einstellen, bis: Heute morgen wache ich erst um 1030h auf. Die Sonne scheint auf das Schiff und es wird so schon langsam warm im Boot. Mein Unterbewusstsein hat wohl im Schlaf schon die Entscheidung gefällt: Heute habe ich Segelfrei!! Kein schnelles Frühstück, kein Fertigmachen des Bootes, keine Wetterberichte. Statt dessen eine warme Dusche und ein bewusst langsames Frühstück. Und ein ganzer langer Tag vor mir. In Flensburg, dieser wunderschönen Stadt. Und plötzlich dehnen sich die Stunden und der Tag kommt mir jetzt schon endlos vor. Ich bin, genau: Zeitmillionär für einen Tag. Nach langem Stadtbummel sitze ich nun im (warmen) McCafe und schreibe diese Zeilen. Und habe keine Idee, was ich mit dem Rest des Tages noch anfangen werde. Großartig!! Ich kann daher jedem Charterer oder zeitlich begrenztem Fahrtensegler nur ans Herz legen, einen Tag Pause in jeden Törn mit einzuplanen. Er verändert die Perspektive und macht einem noch mehr bewusst, wie schön unser Hobby doch ist. Denn oft ist nicht das Meilenfressen die Heilung der Segelsucht, sondern die Auszeit von der Auszeit.