Situation 1: Deutsche Ostsee: Ein Segelboot passiert mich von
vorne kommend. Ich sehe den Skipper am Ruder stehen und grüße ihn freundlich.
Er guckt mich einfach nur mit ausdrucksloser Miene an und segelt weiter. Schwedische Ostsee: Ein Segelboot passiert mich von vorne
kommend. Obwohl noch weit voneinander entfernt winken wir uns gegenseitig
fröhlich zu.
Situation 2: Ich betrete ein Restaurant in Deutschland. Alle
Bedienungen sind unsichtbar oder im gemeinsamen Gespräch. Ich setze mich also einfach
an einen freien Tisch. Als nach 5 Minuten immer noch niemand kommt, hole ich
mir selbst die Karte. Begrüßt werde ich dann mit einem knappen „Die Küche macht
aber gleich zu“. Ich betrete ein Restaurant in den USA. Es folgt dann in etwa dieser Dialog: „Hey, how
are you today?” “Great, and you?” “Awesome, please follow me… Where do you come
from?” “Germany, we are on a round trip” “Yeees? How nice…what do you want to
drink?” “Sweet tea, please” “Great, here is our menu. I’ll be right back
to take your orders.” Fühlt sich doch gleich viel besser an.
Situation 3: Ich freue mich auf die neue Marina in Dänemark,
da ich die Skandinavier als sehr liebenswerte und freundliche Menschen
kennengelernt habe. Mir kommt ein Paar entgegen. Freundlich grüße ich sie. Doch
schnell wird der Blick abgewendet und wortlos vorbeigehuscht. Ich schaue mich
genauer um und sehe überall deutsche Kennzeichen. Na gut, dann eben wortlos
vorübergehen. Das vierte Paar grüßt mich. Ich bekomme fast einen Schreck.
Heckflagge? Danebro…
So könnte ich endlos Beispiel an Beispiel fügen, aber es ist
wohl klar worauf ich hinaus will. Warum tun wir Deutschen (ich schließe mich
hier leider mit ein) uns so schwer mit den simplen Formen der Höflichkeit und
des Umgangs miteinander? In Amerika gilt es als unhöflich im Fahrstuhl schweigend
nebeneinander zu stehen oder gemeinsam irgendwo Seite an Seite zu sitzen. Also
wird simpler Small Talk gemacht und dabei stets gute Laune suggeriert. Und mir
gefällt das. Denn dieser Umgang macht mir gute Laune, auch wenn es mein Gegenüber
absolut nicht interessiert, wie es mir denn heute wirklich geht. In Deutschland
wird jede persönliche Frage doch irgendwie immer gleich als Angriff gewertet.
Wenn ich in einen Fahrstuhl einsteige und dort jemanden frage, wie es ihm geht,
denkt er/sie doch gleich ich will die Brieftasche klauen oder eine Versicherung
verkaufen. Small Talk? Fehlanzeige. Bloß schnell wegschauen und raus aus dieser
unangenehmen Situation. Wovor fürchten wir uns denn? Vor ein paar netten,
unverbindlichen Worten? Mir geht es nach einem Small Talk jedenfalls besser als
nach einem verkrampften Schweigen. Aber häufig werden hier andere Menschen meist
eher misstrauisch als wohlwollend gemustert, und wirklich sicher ist man nur in
den eigenen vier Wänden vor dem Fernseher. Der fragt wenigstens nicht wie es
einem geht, sondern plärrt einfach vor sich hin. Wäre ja auch noch schöner.
Schlimm genug, dass die Supermarktkassiererinnen auch neuerdings auch alle
freundlich grüßen (müssen). Viele, gerade der Älteren, lassen diesen Gruß aber
unbeantwortet, wie ich immer wieder beobachte.
Nun mag man den Einwand bringen, das gerade Amerika das Land
der Oberflächlichkeit ist und die Höflichkeit daher nur aufgesetzt. Stimmt.
Aber: Na und? Es herrscht darüber ja Konsens und fühlt sich dabei trotzdem besser
an und als das deutsche Gebrummel. Eine Bekannte von mir brachte es mal so auf
den Punkt. Bei der Ankunft in den USA wollte sie ihren schweren Koffer vom Band
holen. Doch kaum setzte sie dazu an, sprang ein freundlicher Herr dazu und half
ihr. Er begrüßte sie kurz in den USA und fragte wohin die Reise geht, doch die allzu
ausführliche Antwort wartete er dann doch nicht ab, sondern machte sich mit
einem schnellen „Yeah, have a great trip!“ vom Acker. „Naja, so sind die hier
eben“ dachte die besagte Bekannte. Zurück in Deutschland kam ihr in selber Situation
natürlich niemand zu Hilfe. Und sie wurde sogar noch von einem Mann angeschnauzt,
weil sie den Koffer nicht schnell genug vom Band bekam. Natürlich kam er ihr
dabei nicht zur Hilfe. Da kam dann doch schnell wieder Sehnsucht nach dem oberflächlichen
Amerika auf.
Mich stört es nicht immer wenn ein Gruß ins Leere geht.
Gerade auf dem Segelboot ist man ja oft beschäftigt oder die Entfernungen sind
groß. Auch ich habe dabei wohl schon häufig einen Gruß verpasst. Was ich aber
absolut nicht nachvollziehen kann ist das „bösartige“ Nichtgrüßen. Sprich, man
fährt dicht aneinander vorbei (und ich meine dabei nicht auf der Förde zur
Kieler Woche), ich hebe mein Arm und mein Gegenüber schaut mir einfach nur lange
und komplett ausdruckslos in die Augen. Warum? Wieso? Weshalb? So gerne wüsste ich die Antwort! Ich empfinde es
als echte Frechheit und so ist dann von einfachem Abwinken bis selten zum Mittelfinger
(ich gestehe) alles drin…je nach Tagesform. Woher kommt bloß diese ablehnende und
(im Wortsinne) fremdenfeindliche Haltung in Deutschland? Freundlichsein erscheint
vielen offenbar als Zumutung oder sogar als Anstrengung. Und da man selber
gerne unfreundlich und mies gelaunt ist, sollen es die anderen bitte auch sein?
Die Standardantwort in Amerika auf ein: „How are you?“ ist „Great!“. In
Deutschland folgt auf „Na, wie geht’s?“ ein „Muss ja!“. Das sagt doch schon
alles. Und wir haben dabei einen Sozialstaat von dem viele Amerikaner nur
träumen.
Diese meckerige Attitüde findet man nun leider auch online
in eigentlich fast allen Gruppen und Foren. Ich kann diese Beiträge eigentlich nur
lesen, indem ich konsequent alles themenfremde filtere. Wenn ich eine Antwort
auf ein Problem suche interessiert es mich doch nicht, ob die Frage schon
einmal (absolut unauffindbar) gestellt wurde. Oder ob der Fragende ein Idiot
und der Antwortende ein noch ein größerer Idiot ist. Und daher nun das Forum verlässt. Aber mit geübtem
Filterblick findet man dann irgendwo auf
Seite 3 dann doch den gesuchten Link oder die Information. Und auch hier können
wir uns gerne etwas von den Briten oder auch den Amerikanern (außer natürlich zum
Thema privater Waffenbesitz) abgucken.
Jede noch so dämliche Frage (die dem Fragenden aber doch offenbar wichtig war)
wird da höflich beantwortet. Beispiel: „Ich habe gerade ein kleines Segelboot
gekauft und möchte in drei Monaten die Welt umrunden. Brauche ich dafür eigentlich
einen Motor und reichen 100 Euro?“
Englisches
Forum: „I have great respect for your plans to round the world in a sailboat with
just €100.-. It will surely be a great lifetime experience. But I am also sure
it will be even greater after a good time of making some sailing experiences in
your coastal waters. Also it might be a good idea to spend some time sailing on
a boat with an experienced sailor to learn some stuff you might need on your
journey. Don’t get me wrong here…I really appreciate your sense for adventures
and your courage to face this dangerous trip, which already took the life of
many even more experienced sailors. But you will have much more fun when to
know exactly how to handle your boat. Good luck, and give me a note if you
managed to go round in three month, so I can shake your hand to this new world
record!” Oder so ähnlich.
Deutsches Forum: ”Was ist das denn fürn Idiot” “Bleib besser
zuhause, du Penner” „Kauf dir nen Strick für €10.- Ist billiger.“ Und das in
786 Variationen plus Insiderwitze über die richtigen Socken beim Kentern. Bis dann der Ruf an den Admin laut wird
dieses A…loch doch endlich zu sperren. Und sehr wenige würden sich dabei die
Mühe machen, einfach einmal freundlich und höflich auf den Unsinn dieses Plans
hinzuweisen. Generell habe ich den Eindruck, dass vollständig formulierte Sätze
es in Deutschland schwer haben. Denn die klingen ja immer noch zu nett. Lieber
ein „Tolle Idee, Spinner“ als ein „Entschuldigung, aber ihre Idee ist leider sehr
bescheuert!“ Dabei wäre das doch schon ein großer Schritt in die richtige
Richtung! In diesem Sinne: Auf die Rückkehr der respektvollen Umgangsformen,
damit wir alle mehr vom Leben haben. Jaja, ich hör schon auf zu meckern :-)