Ich möchte
heute einmal nicht von Segeln oder Musikproduktion erzählen, sondern ein paar
Jahre zurückgehen und etwas aus meinem Leben als Musiker berichten. Denn Mitte
der 90er passierten zwei Dinge, die es mir ermöglichten meinen Traum irgendwann
einmal nur von der Musik leben zu können, endlich zu verwirklichen. Da ich auch
einige Fragen zu dem Thema erhalten habe, hier einmal die ganze Story.
Es ist Anfang
der 90er, die Haare sind (noch) lang, der Verstand kurz und die Träume von der
Musik groß, aber so richtig in Gang komme ich mit dem Thema noch nicht. Mehrere
lokale Bands und einige Auftritte im Jahr, mehr läuft noch nicht.
Das
Flugzeugbau Studium läuft noch halbherzig als Notlösung nebenher, sollte es mit
der Musik doch nichts werden. Fertig werden wollte ich trotz Jobangeboten
irgendwie nicht, denn ich hatte Angst meinen Traum von der Musik zu verlieren
und in einem Büro zu versauern. Und das Schicksal meinte es gut mit mir. Mein
Praktikumssemester erledigte ich an einem Theater als Ton- und Lichttechniker.
Überwiegend Komödien. Doch das Publikum blieb aus und Stück für Stück
verschwand das Personal, da es nicht bezahlt werden konnte. Aber ich blieb.
Denn das Praktikum war mir wichtiger als das Geld.Und so machte ich dann eben
auch Vorhang, Platzanweiser, Kartenabreisser etc. Doch dann war das Ohnsorg
Theater auf Gastspiel und die Kasse füllte sich wieder. Ich bekam den Lohn der
letzten vier Monate und als Dankeschön für meine Treue die Aufgabe die Band für
ein geplantes Musical in Eigenproduktion zusammenzustellen. Ein Hauptgewinn!
Denn das Musical lief hervorragend und ich kam aus dem Dunkel der Technik in
die Scheinwerfer der Bühne. Für insgesamt 6 Jahre in Folge.
Musicals
Fast
zeitgleich passiert dann noch etwas: Ich bin mit meiner damaligen Freundin
gerade in einen Hamburger Vorort gezogen, wo sie ein Fingernadelstudio eröffnet
hat. Eine Kundin ist zufälligerweise die damalige Frau von Matthias Reim. Und
zufälligerweise suchen sie für einen Videodreh einen langhaarigen Gitarristen
(damals war ich eigentlich noch “Gitarrist”, bevor ich zum Bass gefunden habe).
So kamen die beiden dann eines morgens gegen 1300h ungefragt bei uns vorbei um
mich zu besichtigen. Ich war gerade aufgestanden (Musiker und Student!) und
wusste nicht so recht wie mir geschah, und war für das Video engagiert. Damals
konnte ich nicht einmal ansatzweise ahnen, das sich durch diesen Zufall mein
Traum vom Berufsmusiker erfüllen würde und ich ein paar Jahre später über 100
Fernsehsendungen als Playbackmietscherge für diverse Künstler absolviert habe,
ich in Musicals spiele und mit Matthias Reim eine Zeit lang auch live auf
Riesenbühnen unterwegs bin.
Videozusammenschnitt meiner diversen Fernseheinsätze
Doch der Reihe
nach: Ohne jeden Plan komme ich zum Videodreh in eine Bochumer Disko. Jeder
kennt sich und ich fühle mich doch erst einmal recht verloren. Im Laufe des
Tages wird der Titel gefühlte 200 Mal wiederholt und ich tue schön so, als
würde ich richtig gut spielen können. Die Atmosphäre wird dann immer lockerer
und nach den ersten Bieren komme ich so langsam mit meinen zukünftigen Kollegen
ins Gespräch. Nach 2 Tagen ist dann der Dreh beendet und es geht wieder zurück
ins “normale” Leben.
Noch mit langer Matte
Allerdings scheine ich der Promotiondame der Plattenfirma
gefallen zu haben, denn nach Wochen meldet sie sich bei mir und fragt nach
meiner Verfügbarkeit für einige TV-Shows an. Natürlich sage ich sofort zu, da
die Gage stimmt und für uns alle Flüge und Hotels gebucht werden. Und schon ein
paar Tage später sitze ich erst im Flieger, danach in einem Fernsehstudio und
mime in meiner ersten Sendung wie Hitparade, Schlagerparade oder Musik liegt in
der Luft. Ich kann mich nicht mehr erinnern. Die Aufzeichnung an sich ist
entspannt, ich kenne den Titel und 3 Minute gute Laune sind auch locker drin.
Ich fühle mich absolut wohl und angekommen, Lampenfieber gibt es nicht. Warum
auch? Verspielen kann man sich ja nicht und wenn ich nicht von der Bühne falle,
ist die Aufgabe erfüllt. Für diese 3 Minuten Sendung ist man jedoch 3 Tage
unterwegs, macht 2 Probendurchläufe und eine Generalprobe mit und verbringt
Stunden im Studio bzw. dessen Kantine.
Ich komme ja
noch aus der Vor MTV/VIVA Zeit und da gab es eben nur Disco, Hitparade, Formel
1, Musikladen und das wars auch schon....soll heissen, alle Vögel, die jetzt in
der Kantine oder im Studio um mich herum sitzen, kenne ich irgendwie aus dem
Fernsehen. Rex Gildo, Dieter Thomas Heck, Ireen Sheer, Roberto Blanco, Jürgen
Drews, Dieter Bohlen und auch immer ein paar internationale Stars stehen am
Buffett an, holen sich ein Bier oder hängen irgendwo ab. Und ich mittendrin
krampfhaft bemüht so zu tun, als wäre das ganz alltäglich...was es ja auch bald
werden sollte. An den Abenden geht es dann stets in ein Sternerestaurant und
danach an die Hotelbars der Luxushotels... Kostenübernahme immer von der Plattenfirma.
Und das haben wir natürlich ausgenutzt. Wir, das waren eigentlich immer die
gleichen paar Mucker mit wenigen Neuzugängen. Wir kamen perfekt miteinander aus
und wurden auch im “echten” Leben Freunde und sogar Band. Ich denke diese guten
Vibes und unsere ansteckende Feierlaune waren auch der Grund dafür, das wir
sehr oft gebucht wurden. Sowohl Künstler als Plattenfirmenleute waren einfach
gerne mit uns unterwegs. Und wenn ich mir die Videos ansehe, hatten wir es auch
irgendwie drauf...es passte wohl perfekt in die Zeit.
Nun hat ja jeder
Künstler immer wieder ein neues Album oder Single mit der er unterwegs ist, doch
danach ist wieder eine Zeitlang Ruhe. So wurden wir dann von anderen Künstlern
und deren Firmen abgeworben und ich begann meine Rotation an diversen
Instrumenten. Wenn ich gefragt wurde, ob ich Schlagzeug, Saxophon, Piano oder
was auch immer spielen kann, war meine Antwort immer: Ja, aber klar, natürlich!!
Das bedeutete dann immer für sich alleine ein paar Tage zu proben, um so
auszusehen als könnte man es wirklich. Merkt eh kein Mensch, wenn man sich ein
wenig reinhängt. Die Einstellung führte natürlich zu mehr Jobs und Einnahmen,
und machte mir selten Probleme. Ausnahme: Mein erster Job als Drummer für
Wolfgang Petry... ums verrecken konnte ich als Schlagzeugnovize die 16tel HiHat
nicht durchhalten, ohne die Sticks zu verlieren. Am Ende kam ich dann
irgendwann drauf einfach 8tel zu spielen, den Unterschied sieht man im TV eh
nicht. Und kaum das ich damit klar kam, klappten dann auch die 16tel, verrückt!
Eine Fussmaschine für die Bassdrum gibts eh nicht im TV, alle Becken sind tot
und auf den Fellen liegen dicke Gummimatten. Wichtig ist nur gut gelaunt
auszusehen und die Tom-Fills draufzuhaben, denn hier gibt es manchmal
Close-Ups.
Später gab es
dann aber doch einmal zwei doofe Situationen. Einmal mit Bonnie Tyler live auf
einem Mega-OpenAir. Hier war zwar die Musik auch Playback aber das Drumset war komplett
auf der Lautsprecheranlage. Beim ersten Tritt auf die Bassdrum wummste es aus
der PA und ich wurde blass. Bevor ich aber auch nur ein Wort zur Technik sagen
konnte, ging der Titel schon los. Hört euch mal Hero und Total Eclipse von
Bonnie Tyler an, da war ich aber alles andere als locker mit einem Mal.
Mein zweiter
FauxPas: Am Flügel mit G.G. Anderson. Tonart Eb-dur. Ich habe aber, um es mir
leichter zu machen, immer in D-Dur gemimt. Die gedämmten Fernsehklaviere geben
natürlich auch nie einen Mucks von sich! Vor mir war ein russischer
Wunderpianist dran, danach dann gleich wir. Und natürlich war es ein echter, lauter
Flügel. Das hört zwar keiner der Zuschauer zuhause, wohl aber alle im Studio
und natürlich auch der Sänger. Da habe ich mich dann aber auch irgendwie
durchgeschummelt und so GETAN als würde ich die Tasten wirklich drücken.
Man wird oft
nach Erlebnissen mit den Stars gefragt, oder wie der eine oder andere denn so
wäre. Dazu kann man aber immer wenig sagen. Bühnenmensch und Privatmensch sind oft
unterschiedlich, aber privat dann eben doch ganz normale Menschen. Und die Kontake bleiben immer auf der Oberfläche. Das größte Problem ist eigentlich das
tagelange Herumhängen und warten. Das sind so 90% der Zeit, und da ist kein noch
so extremer Bühnenmensch dauerhaft durchgeknallt. Im Gegenteil: Alle hängen rum
wie im Wartesaal und man ist froh, wenn man endlich dran ist. Nach der Sendung
wird dann meist gefeiert, und die Kollegen der Branche trinken auch gerne einen
oder auch mal einen mehr. Aber alle kennen sich seit Jahren und keiner will es
sich mit dem TV verscherzen. So gesehen passiert dann nicht viel mehr als bei
jeder Firmenfeier. Meist wird erfolglos gebaggert und viel gelabert, mal geht der
eine mit der anderen aufs Hotelzimmer, oder irgendwer kotzt in den Fahrstuhl. Das
war dann aber auch schon das Extremste. Unsere Beschäftigung um die Zeit
rumzukriegen war eher das Kartenspiel “Schwimmen”... das sagt doch einiges aus!
Überhaupt wurde alles schnell zu einem Job, den man möglichst professionell
erledigen wollte, denn ich konnte davon wirklich einige Zeit sehr gut leben!
Surreal sind
dann eher diese Situationen: Mit einem Mal sitzt man neben Rex Gildo, Dieter
Thomas Heck, Karel Gott, Stefan Raab, Vicky Leandros und Roberto Blanco und
zieht ihnen beim Kartenspiel die D-Mark aus der Tasche. Einzig Bohlen ist immer
etwas Besseres und nie mit dabei. Und Drews immer bei irgendwelchen Mädels. Und
wir sind wie immer die letzten an der Hotelbar. Zum Frühstück gibt es dann
statt Bier aus Gläsern einfach Bier aus Tassen.
Mir war klar,
das das nicht ewig so weitergehen konnte und so kam es dann auch nach ein paar
Jahren. Andere Künstler, andere Promoter und unsere Hackfressen konnte auch
niemand mehr sehen, so oft wie wir dabei waren. Das Theater, in dem wir auch im
Dreierteam spielten, fing uns zunächst auf. Aber auch hier war irgendwann
Schluss, weil die kleinen Theater nicht mehr gegen die großen Musicalhäuser
ankamen. Ich war dann noch eine zeitlang mit Matthias Reim auf Tour, diesmal
als echter Musiker am Bass. Aber irgendwann kreiste auch über ihm der
Pleitegeier und die Show war vorbei und ich musste mich neu orientieren. Aber
das ist eine andere Story. Ich hätte ja auch etwas anständiges lernen können..