Ankerbucht vor Roseau
Auf nach Domenica! Unter Motor geht es frühmorgens
das kurze Stückhoch zum Nordkap von Martinique. Da wir bisher noch nirgendwo
Landstrom bekommen haben, sind wir ja immer wieder auf Motorfahrten angewiesen,
um die Spannung in den Akkus zu halten. Die Alternative wäre es, am Liegeplatz
den Motor laufen zu lassen. Das müssen wir später auch noch machen, aber ich
probiere es eben möglichst zu vermeiden und fahre Schwachwindsektionen dann
eben unter Diesel. Am Nordkap angekommen, brist der Wind wie auch im Törnführer
beschrieben stark auf. Klar. Düseneffekt und Kapeffekt kommen hier zusammen.
Das erste Reff hatte ich schon vor dem Auslaufen eingebunden, also können die
Segel direkt nach oben gehen und der wilde Ritt beginnt. Bis zu 8 Knoten stehen
auf meinem GPS, die Logge ist, wie so einiges andere an diesem Boot, defekt.
Die Sun Odyssey legt sich weit über wird dann aber schnell stabil und schnell.
Noch etwas mit Fockgröße, Traveller und Trimm experimentiert, dann passt alles
und der Autopilot (dessen Anzeige auch defekt ist) verrichtet seinen Dienst.
Wir bekommen den Wind genau von der Seite, samt kräftiger Welle. Aber mit diesem
Speed segelt es sich ganz hervorragend und schnell wird Domenica vor dem Bug immer
größer, während Martinique im Kielwasser verschwindet. Die Seekarten (die an
Bord sind die übrigens noch von 2006!!) und die Plotter (ich habe
sicherheitshalber auch mein Tablet samt Navionics Software mitgebracht) berichten
vom ominösen 7 Feet Rock, dessen Position nicht ganz eindeutig ist. Ich halte
also lieber genug Abstand von Scotts Head, der Untiefe am Südkap von Domenica.
Land in Sicht
Zwischen den Inseln
Und auch hier brist es wieder ganz gewaltig auf und eine Böe legt uns eine Zeit
heftig auf die Seite. Alle Augen ruhen auf mir. Jetzt bloß ganz gleichgültig
tun. Alles an diesem Boot ist so groß, dass man nicht mal eben die Großschot
fieren kann. Dazu kommt das German Cuppersystem auf einer gemeinsamen Winsch
für Fock und Groß. Da muss dann erst einmal die Großschot um eine Winsch
gelegt, eine Klemme geöffnet und langsam gefiert werden, und das dauert eben.
Aber die vor Schreck geweiteten Augen der Crew bleiben größer als die eigentliche
Krängung. Alles im grünen Bereich. Der Wind dreht nun mit dem Kap mit und kommt
eine Zeit lang raum, bis er dann langsam schwächelt. Also gehen wir wieder in
den stromerzeugenden Dieselmodus. Mir wurde vorab geraten möglichst nur in
Portsmouth zu ankern, da der Rest von Domenica nicht ganz ungefährlich wäre.
Soweit in den Norden wollen wir aber nicht, und ich denke die Hauptstadt Roseau
geht auch in Ordnung. Der Törnführer beschreibt ein paar mögliche Plätze samt diversen
Telefonnummern und UKW Anrufkanälen von möglichen Liegeplätzen, aber niemand antwortet.
Eigentlich wollte ich schon mit gutem Abstand zur Küste einen der empfohlenen
Plätze reservieren, bevor wir von Boat-Boys umlagert werden. Besonders erwähnt
wird im Törnführer von Chris Doyle ein Marcus, der sich um die Security in der
gesamten Ankerbucht kümmern soll. Aber auch er antwortet nicht. Und da löst
sich auch schon ein kleines, knallbuntes Boot mit Außenborder vom Land und hält
auf uns zu. Das hat etwas von den Piratenbildern, die man aus Somalia kennt, aber
es wird wohl Zeit Vorurteile über Bord zu werfen und sich dem Neuen zu stellen.
Das farbenfrohe Boot samt farbenfrohem Lenker im Rasta-Style und leicht
verkifften Augen geht längsseits. Auf Domenica spricht man zum Glück englisch,
was die Kommunikation doch sehr erleichtert. Eigentlich möchte ich an eine Mooringtonne
vor dem Domenica Marine Center, aber er zeigt auf eine Tonne ein gutes Stück
weit davon entfernt. Ich frage ihn nach Marcus. Ja, den kenne er. Wenn ich
möchte, würde er ihn holen, sobald wir an der Tonne liegen. Wir willigen etwas
zögernd ein und folgen dem Boot. Nachdem die Leine fest ist, verhandeln wir auch
schnell noch den Preis. 40 karibische Dollar, also ca. 13 Euro die Nacht.
Inklusive Security. Angesichts der verfallenen Gebäude direkt vor uns, sowie schwelender
Feuer am Strand und der offensichtlichen Armut sind wir hin- und hergerissen.
Wir liegen in Schwimmweite des Strandes und die Küste wirkt leicht bedrohlich.
Das ist hier dann doch ganz anders als auf Martinique.
In meinem Buch befindet
sich jedenfalls ein Foto von Marcus, und der Mann, der nun mit unserem Boat-Boy
angefahren kommt, sieht ihm in der Tat sehr ähnlich. Freier Oberkörper, einige
Zähne fehlen, am Gürtel ein martialisch aussehendes Messer sowie eine
Handfunke. Und er redet gleich drauflos: “Hi, I am Marcus, I am the Security here
in this bay”. Ich zeige ihm das Foto und er lacht. Ja, das wäre er. Er würde nun aber
nicht mehr für das Marine Center arbeiten, sondern auf eigene Rechnung, und
dieses hier wäre seine private Mooringtonne. Irgendwie wirkt er extrem von der
Rolle und auch nicht ganz nüchtern. Ich setze mich aufs Vordeck um ein wenig mit
ihm zu plaudern und einen Eindruck zu gewinnen. Er erzählt mir, dass sein nagelneuer
Außenborder grade abgesoffen wäre (it went fucking dong, man), und mit ihm sein
Handy. Daher hätten wir ihn nicht erreicht, aber er würde sich nun um alles
kümmern. Zoll, Ausflüge, er könnte uns überall behilflich sein. Wenn auch nicht
ganz nüchtern, erscheint er mir aber doch sympathisch und vertrauenswürdig. Die
anderen stimmen zu, und wir bezahlen für zwei Nächte plus einem Trinkgeld von
20 EC für den Service. Und sagen ihm zunächst, dass wir uns später wieder
melden würden. Danach sitzen wir erst einmal im Cockpit gewöhnen uns ein und
schwimmen, während vom Strand immer lautere Musik herüberweht. Ich würde es
Carribean Gangsta Rap nennen, mit viel Waffen- und Schussgeräuschen. „No, I am not a nice guy!”.
Boom Boom Boom. Naja, so ganz wohl fühlen wir uns hier dann noch nicht. Zwei Stunden
später habe ich dann Marcus am UKW und er will uns für Zoll und Stadtbesichtigung
abholen. Das Dinghi bleibt besser angeschlossen an Bord. Marcus erscheint mit dem Boot seines Kollegen und sagt: „Hi I am
Marcus, I am the security here in this bay“.
So als sähe er uns gerade zum ersten Mal.
Strange, aber nun müssen wir da wohl durch. Am Zoll verlassen wir das Boot und
mangels eigenem Hand UKW (denn das hatte ich zuhause vergessen) verabreden wir uns
direkt am Strand vor unserem Boot für den Rücktransport. Und hoffen, dass wir
den Platz und unser Boot überhaupt wiederfinden. Die Dame beim Zoll winkt ab.
Heute am Sonntag käme wohl keiner mehr, und wir sollen doch bitte morgen früh
wiederkommen. Also laufen wir etwas unmotiviert durch die Straßen. Alles ist
geschlossen und leer, die Menschen erscheinen uns feindselig und wir uns, als
offensichtliche Touristen, sehr fehl am Platze. Dazu kommt der Hang zum Gangsta-Look
bei vielen Einheimischen plus deren Autos mit rundum getönten Scheiben aus
denen fette Bässe dringen. Plus der leicht desolate Zustand der Stadt. Wir
wissen nicht so recht wohin und landen am Ende im Innenhof eines recht noblen
Hotels. Hier lässt es sich gut aushalten und von der Dachterrasse kann man dann
auch unser Boot friedlich vor dem Strand dümpeln sehen. Es ist ziemlich weit
weg und wir sollten den Fußweg dorthin rechtzeitig antreten, damit wir nicht im
Dunkeln nach der richtigen Strandhütte suchen müssen, in der Marcus auf uns
wartet. Samt Messer. Hoffentlich! Mich nervt nun aber auch mein Misstrauen, ob
der vielen Klischees und wir beschließen dann statt mit dem Taxi zur
Strandhütte zu fahren, doch einfach zu Fuß zu gehen. Sonst werden wir uns nie
akklimatisieren. Und in er Tat, mit offeneren Augen und geänderter Haltung ist
alles plötzlich sehr aufregend, neu und spannend.
Bunte Häuser, kleine
Geschäfte, ein Fußballplatz und jede Menge Menschen säumen die Küstenstraße.
Alle grüßen und sind freundlich, bis auf einen Mann der direkt fünf Dollar von
uns verlangt, aber nicht bekommt. Und wir erwischen dann auch den richtigen
Abzweig zum Strand und finden dort Marcus und seine rund 10-köpfige Crew vor.
Jetzt begrüßen wir uns auch irgendwie das erste Mal richtig. Und machen für den
nächsten Tag eine Inseltour ab. Sie würden auf das Boot aufpassen und wir könnten
in Ruhe durch heiße Quellen und Wasserfälle streifen. Abgemacht. Die Runde ist
karibisch friedlich, der Geruch von Gras hängt in der Luft. Ein Typ aus Florida
hängt auch hier ab. Frau und Kind irgendwo draußen an Bord. Auf Langfahrt. 5
Jahre sind geplant. Umgestiegen auf Katamaran, da sie die Krängung stört. Wir
werden noch eingeladen mitzufeiern, gehen aber dann doch lieber auf unser Boot.
Mit unseren zwei Mädels wollen wir unser Glück nicht herausfordern. Alle 30
Minuten streift der Strahl einer Taschenlampe über unser Boot. Wir werden
offenbar gut behütet. Als dann irgendwann die aggressive Musik ruhigeren
Raggaeklängen weicht, fühlen wir uns sehr, sehr wohl hier in dieser rauen Stimmung.
Und alle sind alle froh den Sprung nach Domenica gewagt zu haben. Wir genießen
noch etwas von unserem karibischen Rum und trinken einen Schluck mit Rasmus,
bevor wir wie immer sehr früh in die Kojen klettern. Von innen abgeschlossen,
haben wir aber trotz dem wachsenden Vertrauen dann doch wieder von innen.
Unsere Ankerbucht
Wunderbar ausgeschlafen geht es am nächsten
Tag auf einen sehr beeindruckenden Ausflug über die Insel. „Unsere“ Jungs haben
uns mit „Armstrong“ einen ganz hervorragenden Guide besorgt. Kaum sitzen wir in
seinem Taxibus sprudeln Infos auf uns ein. Jedes Gebäude und der Gemüsemarkt
wird kommentiert (alleine 40 Sorten Mangos gibt es auf der Insel). Doch wir
müssen nun erst einmal einklarieren. Anders als auf Martinique, wo man selber
die Infos in einen PC eingibt, ein Formular ausdruckt und abstempeln lässt,
herrscht hier ein ganz anderer Ton. Ich muss diverse Angaben handschriftlich
festhalten und werde ausgiebig nach Törndauer und Abfahrtszeiten befragt. Es gilt
wohl festzustellen, ob unsere Angaben plausibel sind. Am Ende muss sich dann
die ganze Crew in einem Raum versammeln und es gilt noch viele weitere Fragen
zu beantworten. Wenigstens ist beim Einklarieren das Ausklarieren innerhalb von
14 Tagen inklusive, und so verlassen wir dann eine Stunde später das Zollgebäude,
froh nicht wiederkommen zu müssen. Armstrong wartet bereits auf uns und es geht
quer über die Insel. Eine Grotte zum Schwimmen (bekannt aus Fluch der Karibik),
Wasserfälle, heiße Quellen, ein botanischer Garten und weitere Ziele lagen vor
uns. Interessant ist es, das viele Pflanzen, deren Früchte wir nur getrocknet
kennen, direkt am Straßenrand standen. Zimt, Muskatnuss, Cashew, Eukalyptus,
alles kann einfach so gepflückt werden. Faszinierend. Die Klettertour über die
glitschigen Felsen zu den dampfenden Quellen der Trafalgar Falls ist besonders
fordernd. Die Mädels geben recht früh auf, und auch ich frage mich, ob es
richtig sei unsere Knochen und damit den Törn für ein wenig warmes Wasser zu
riskieren? Am Ende ist es zwar ganz nett, ich würde es aber nicht wiederholen.
Zu groß ist das Risiko auf den Felsen ganz gefährlich auszurutschen und damit den
ganzen Törn zu riskieren. Als Skipper hätte ich wohl besser Nein gesagt, aber
damit tue ich mich bei jeder Art von Mutprobe und Herausforderung leider immer sehr
schwer.
Am Ende des Tages kommen wir zwar völlig erledigt, aber absolut
begeistert auf unser Boot zurück, das gut bewacht an seiner Mooringtonne liegt.
Mich haben die Boat-Boys und meine anfänglichen Vorurteile lange beschäftigt,
denn letztendlich sind sie es ja, die mir zwar zuerst das Gefühl der
Unsicherheit gaben, um sich dann später als diejenigen herauszustellen, die so
sehr um unsere Sicherheit besorgt sind. Schon Paradox. Armstrong erzählt mir dann
auch davon, dass Marcus nagelneuer Außenborder ungesichert bei 200 Fuß Wassertiefe
über Bord gegangen wäre. Das war auch der Grund weshalb wir von seinem Kollegen
Desmond in Empfang genommen wurden. Nun muss er wieder lange auf einen neuen
Motor für sein Boot sparen. Ich entscheide mich spontan dafür, ihm dabei
finanziell unter die Arme zu greifen, denn ich habe großen Respekt vor ihrer
Arbeit und ihrem so eigenen Kampf gegen die Kriminalität. Ohne sie und ihre
nächtlichen Patrouillen hätte ich mich auf der Insel wahrscheinlich nicht sehr
sicher gefühlt. Marcus zeigte mir dann noch seine "Operation",
bestehend aus viel Tauwerk, Ketten, Mooringtonnen und jeder Menge Gerödel. Was
bei uns als Schrott in der Garage durchgeht, ist hier der Start seines
Geschäftes! Wer also Roseau auf Domenica als Ankerziel wählen möchte, ruft am
besten Marcus aus UKW Kanal 16 an, der dann auf 14 gewechselt wird. Man wird
dann ruhig schlafen und das Boot auch einmal alleine lassen können. Und auch in
dieser Nacht gibt uns das ständige Flackern der Taschenlampen wieder das Gefühl
von absoluter Sicherheit. Und ich vergesse es nun auch die Luken zu schließen.
Denn ich habe auf der Seekarte eine Info gefunden, die mich nun beschäftigt.
Sinngemäß steht dort das viele Yachties es sich unnötig schwer machen, da sie
die Tide und die damit verbundene Strömung zwischen den Inseln nicht beachten
würden. Und so würde aus einem leichten Halb- bis Amwindkurs, dann ein hartes Gegenan.
Grundsätzlich würde in der Karibik immer ein leichter Weststrom setzen, der je
nach Tide dann stärker wird oder sich aufhebt. Mangels Internet hole ich per
SMS von Mike von www.klassisch-am-wind.de
die aktuellen Tidenzeiten ab. Jetzt gilt es nur noch herauszufinden, in welche
Richtung nun Ebbe oder Flut setzen. Aber auch dazu finde ich auf der Seekarte
einen Eintrag und verschiebe die für morgens geplante Abfahrt, auf 1230h. Denn
um 1430h soll die Tide kippen und wir müssen ja erst noch ums Kap motoren.
Außerdem möchte ich wegen der hier recht früh einsetzenden Dunkelheit noch
etwas Reserven haben.